Der digitale Wandel der Wissensordnung. Theorierahmen für die Analyse von Wahrheit, Wissen und Rationalität in der öffentlichen Kommunikation.

Neuberger, C., Bartsch, A., Reinemann, C., Fröhlich, R., Hanitzsch, T., & Schindler, J. (2019). Der digitale Wandel der Wissensordnung. Theorierahmen für die Analyse von Wahrheit, Wissen und Rationalität in der öffentlichen Kommunikation. Medien & Kommunikationswissenschaft, 67(2), 167–186. doi: 10.5771/1615-634X-2019-2-167

Populäre Krisendiagnosen zur Verbreitung von Falschinformationen, zur Erosion einergemeinsamen Wissensbasis und zur Infragestellung epistemischer Autoritäten haben inden letzten Jahren nicht nur Sorgen um die Wissensordnung in liberalen Demokratienausgelöst, sondern auch zu erheblichen Forschungsaktivitäten in der Kommunikations-wissenschaft geführt. Allerdings steht eine Integration der empirischen Befunde zu denzahlreichen Einzelaspekten in einen Theorierahmen noch aus. Der Zweck eines solchenRahmens besteht darin, den digitalen Wandel der Genese, Prüfung, Distribution undAneignung von Wissen in der medienöffentlichen Kommunikation systematisch zu beschreiben und zu erklären. Ausgehend von den Grundbegriffen Wahrheit, Wissen undRationalität wird ein Modell der Wissensordnung entwickelt, das Phasen, Kontexte,Hierarchiestufen und Rollen unterscheidet. Das Internet tendiert zur Auflösung der bisherigen Wissensordnung, d.h. zu einem Kollaps der Kontexte, zur Nivellierung der epistemischen Hierarchie, zur Auflösung der Phasenfolge des Wissensprozesses, zum offenen Zugang zu bislang exklusiven Rollen und zur Entstehung von Hybridrollen. Es wird demonstriert, wie das Modell zur Aufarbeitung des Forschungsstands, zur Ableitung einerForschungsagenda und für Gestaltungsempfehlungen eingesetzt werden kann.